Interview

Brexit in Brandenburg?

22.02.2017 | Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist in aller Munde. Rolls-Royce Deutschland beschäftigt am Standort Dahlewitz momentan circa 2650 Mitarbeiter aus 50 Nationen und hat seine Konzernmutter auf der Insel. Welche Auswirkungen könnte ein Brexit auf den Standort in Dahlewitz haben?

Dr. Johanna Wenckebach ist seit 2016 als Juristin in der Tarifabteilung des Bezirks der IG Metall beschäftigt

Guido Höhn ist seit knapp sieben Jahren Betriebsratsvorsitzender bei Rolls-Royce Deutschland. Das Interview führte Tobias Kunzmann

Ist das Thema Brexit bei der ‧Belegschaft ein Thema?

Guido Höhn: Für die meisten ist das kein Thema, weil sie keine Auswirkungen für sich und den Standort sehen. Wir haben aber auch mehrere hundert englische Kolleginnen und Kollegen, die sich schon Sorgen machen. Sie befürchten vor allem, dass ihr Aufenthalt in Deutschland nicht mehr so unproblematisch möglich ist.

Gibt es schon klare Vorschriften darüber, wie schnell der Austritt Großbritanniens aus der EU vollzogen werden kann?

Johanna Wenckebach: Es wird vollkommenes Neuland betreten. Artikel 50 der EU-Verfassung sieht vor, dass die Geltung der europarechtlichen Verträge zwei Jahre nach dem Austrittsantrag endet. Eine Fristverlängerung ist jedoch möglich. Spannend wird, was an die Stelle der EU-Mitgliedschaft tritt. Denkbar ist ein Freihandelsabkommen, wie etwa mit Kanada. Schwierig wird es für beide Seiten dann, wenn gar kein Freihandelsabkommen zustande kommt. Dann würden die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien auf das Niveau der Welthandelsorganisation (WTO) zurückfallen

Welche Probleme neben dem Freihandel siehst Du auf Firmen wie Rolls-Royce zukommen?

Johanna Wenckebach: Das größte Problem ist sicher die Unsicherheit. Wie sich die wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen nach dem Austritt gestalten werden, ist zur Zeit nicht abzusehen. Zölle beispielsweise wären für Rolls-Royce ein großes Problem. Fraglich ist auch die Zukunft der Teilhabe an europäischen Förderprogrammen im Bereich der Forschung. Sich auf die anstehenden Änderungen im Steuerrecht, im Gesellschaftsrecht, aber auch im Arbeitsrecht einzustellen, wird ein Kostenfaktor.

Welche Sicht habt Ihr als Betriebsräte? Sorgt Ihr Euch um die Aufträge oder die Unterstützung durch Forschungsgelder?

Guido Höhn: Probleme sehen wir im Hinblick auf die Aufträge eigentlich nicht. Die Flugzeugindustrie ist sehr international. Wir liefern nicht nur zu Airbus, sondern auch zu Gulf Stream, Bombardier und Boeing. Selbst Währungsschwankungen werden vom Unternehmen abgesichert. Wir machen uns aber Gedanken um den Datenschutz, weil unsere Server in Großbritannien stehen. Die Förderung und Unterstützung durch Forschungsgelder von Bund, Land und EU sind auch nicht in Gefahr, weil wir am Standort ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland bleiben. Schwierig wird es aber, wenn die Regierung in England dem Beispiel von US-Präsident Trump folgt und eigene Förderungen an die Voraussetzung knüpft, dass Rolls-Royce Forschung und Entwicklung in Britannien ansiedelt.

Welche juristischen Auswirkungen auf die Kolleginnen und Kollegen befürchtest Du?

Johanna Wenckebach: Infrage steht etwa die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Beschäftigte in und aus Großbritannien werden eine Arbeitserlaubnis brauchen. Und welche Standards das britische Arbeitsrecht nach dem Austritt für den Schutz Beschäftigter bieten wird, ist auch völlig offen. Auch im Hinblick auf die Sozialversicherungen, also Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung und Rentenversicherung, kann es zu Nachteilen kommen. Diese Systeme sind zwar noch nicht europaweit vereinheitlicht, aber es gibt ein gegenseitiges Anerkenntnis.

Welche Auswirkungen befürchtet Ihr hier für die Kolleginnen und Kollegen?

Guido Höhn: Die Einschränkung der Freizügigkeit wäre natürlich ärgerlich. Wir haben aber Mitarbeiter aus 50 Nationen am Standort, von denen viele auch nicht aus der EU stammen. Die Probleme der Sozialversicherung und der Freizügigkeit sind für uns also nicht neu. Wir müssen uns aber erst noch daran gewöhnen, dass ausgerechnet mehrere hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Land unserer Konzernmutter vielleicht Einschränkungen hinnehmen müssen.

Von: mm

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